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urologische traumata 1Die urogenitalen Traumaursachen sind einer sozioökonomischen und geografischen Variabilität unterworfen. Sind in Westeuropa über 90 Prozent der Verletzungen des Urogenitaltrakts stumpfe Traumata, so handelt sich in Ländern mit liberaler Waffengesetzgebung oder in Kriegsgebieten bei 20 Prozent der Verletzungen um penetrierende Traumata wie Messerstiche oder Schussverletzungen.

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An der Spitze der Ursachen für urogenitale Traumata stehen (in westeuropäischen Ländern) mit ungefähr 40 Prozent Verkehrsunfälle gefolgt von Sport- und Arbeitsunfällen (je 13 Prozent), Verletzungen nach sexueller Aktivität (acht Prozent) sowie Verletzungen infolge krimineller Handlungen (sechs Prozent).

Isolierte Harntraktverletzungen sind selten. Eine multizentrische deutsche Studie zeigte, dass 51 Prozent der Patienten mit urogenitalen Verletzungen ein Polytrauma, 27 Prozent ein zusätzliches Abdominaltrauma und 24 Prozent ein begleitendes Beckentrauma aufwiesen. Bei 33 Prozent bestand ein hämodynamisch instabiler, lebensbedrohlicher Zustand, die Gesamtmortalität lag bei neun Prozent. Am häufigsten (52 Prozent) waren 16- bis 30-jährige Männer betroffen.

In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um Dezelerations-, seltener um Akzelerationstraumata, die Gefäß-, Harnleiter- und Harnröhrenein- bzw. -abrisse verursachen. Es finden sich außerdem Zerreißungen und Rupturen von Hohlorganen durch stumpfe, quetschende Einwirkungen (Autolenkrad, Verschüttungen). Das „Aufreittrauma“ („Straddle“-Trauma) in der Dammregion kommt oft kombiniert mit offenen Pfählungsverletzungen vor.

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Abb. 1: Grad-I-Verletzung der linken Niere mit subkapsulärem Hämatom und Deformierung der Niere;
Abb. 2: Grad-III-Verletzung der rechten Niere mit perirenalen Hämatom und deutlichen Parenchymeinrissen (ohne Kontakt zum Hohlraumsystem);
Abb. 3: Grad-V-Verletzung der rechten Niere (Zertrümmerung mit Gefäßstielabriss)

Nierentrauma

Verletzungen der Niere treten in ein bis fünf Prozent aller Traumafälle auf. Die Niere stellt in allen Altersgruppen das am häufigsten verletzte Organ des Urogenitalsystems dar. Männer sind dreimal häufiger betroffen als Frauen. Kinder und Patienten mit Nierenanomalien neigen zu höhergradigen Verletzungen. Eine Mitbeteiligung der Niere ist prinzipiell bei jedem stumpfen oder penetrierenden Abdominaltrauma möglich. Bei 15 Prozent aller polytraumatisierten Patienten liegt eine konkomitante Verletzung der Nieren vor. Typische Symptome sind Flankenprellmarken, Flankenschwellungen oder Flankenschmerzen. Aber auch eine erhöhte und schmerzhafte abdominelle Abwehrspannung sowie eine Auftreibung des Abdomens können auf eine Beteiligung der Niere hinweisen. Ein unsicheres Symptom stellt die Hämaturie dar, da das Ausmaß einer Hämaturie nicht auf den Verletzungsgrad rückschließen lässt. Nierengefäßstielabrisse, Harnleiterabrisse oder Läsionen ohne Anschluss an das Hohlraumsystem weisen oft keine Makrohämaturie auf. Selbst Mikrohämaturie tritt – falls überhaupt – in vielen Fällen verzögert auf.

Diagnostik. Nach Anamnese und Laboruntersuchungen spielen bildgebende Verfahren die wichtigste Rolle. Mittels Ultraschalluntersuchungen lässt sich schnell und sicher eine erste Befundaufnahme von Parenchymläsionen, intraoder perirenalen Hämatomen oder Urinextravasationen gewinnen. Die Durchführung einer intravenösen Pyelografie (IVP) wurde durch die Computertomografie (CT) – dem Goldstandard in der Traumadiagnostik – abgelöst. In vereinzelten Fällen (singuläre Urogenitalverletzung und/oder keine CT verfügbar) kann ein Ausscheidungsurogramm angedacht werden. Nur die CT erlaubt eine genaue Klassifizierung des Verletzungsgrades. Die Stadieneinteilung erfolgt nach der Klassifikation der American Association for the Surgery of Trauma (AAST; siehe Tab. 1 und Abb. 1–3).

Therapie. Eine exakte Stadieneinteilung ist für die weitere Therapieplanung notwendig, um die Entscheidung bezüglich eines konservativen, operativ-organerhaltenden oder operativ-organablativen Vorgehens treffen zu können (siehe Tab. 2 und Abb. 4).

70 bis 80 Prozent der Patienten mit stumpfem Nierentrauma können konservativ behandelt werden. Auch bei einer penetrierenden Nierenverletzung ist ein konservatives Vorgehen in 50 Prozent der Fälle möglich und erfolgreich. Die Therapiemaßnahmen umfassen strenge Bettruhe, Antibiose (Schwerpunkt gramnegative Keime), Monitoring der Kreislaufparameter, Labor- und sonografische Kontrollen.

Liegen Verletzungen ≥Grad III vor, wird eine CT-Kontrolle nach zwei bis vier Tagen empfohlen. Eine Harnleiterschienung kann zur Sicherung der Urindrainage notwendig sein oder auch eine selektive angiografische Embolisation bei hämodynamischen Blutungen.

Das operative Vorgehen richtet sich nach dem Allgemeinzustand des Patienten. Eine perakute urologische Operation (Nephrektomie) ist nur bei einer lebensgefährdenden urologischen Verletzung erforderlich. In der Regel erfolgt die operative Exploration im Rahmen einer transperitonealen Laparotomie bei Polytrauma, wobei meist ein Nierenerhalt möglich ist. Als operative Techniken kommen Kapselraffung (Vicrylnetz), der wasserdichte Verschluss des Hohlsystems sowie Nierenteilresektion zum Einsatz.

Nephrektomieraten werden in der Literatur mit 13 bis 75 Prozent angegeben. Bei Nierenstielverletzungen und vollständig zerstörter Niere ist häufig eine Entfernung der Niere notwendig. Bei Vorliegen einer Einzelniere oder bilateralen Verletzungen ist auch primär der Erhalt der Niere anzustreben. Zeigt sich eine persistierende oder verzögert auftretende arterielle Blutung, ist alternativ an eine selektive Gefäßembolisation zu denken.

Bei Nierenarterienthrombosen erfolgt eine offene Gefäßrekonstruktion oder als Alternative eine interventionell-radiologische Gefäßstentung. Der Erfolg des Letzteren ist vom Zeitpunkt der Intervention abhängig – die beste Chance für eine erfolgreiche Stentanlage ist in den ersten Stunden nach Trauma gegeben.

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Abb. 4: Nierenfreilegung rechts bei Messerstichwunde am Unterpol

Komplikationen nach Nierentraumata lassen sich in Frühund Spätkomplikationen einteilen. Früh auftretende Komplikationen sind peraktue Blutungen, retroperitoneale Urinphlegmone und/oder infizierte Hämatome. Weiters kann es zur Ausbildung septischer Krankheitsbilder sowie zu arteriovenösen Fisteln nach penetrierenden Traumata kommen. Spätfolgen einer Nierenverletzung sind sekundäre Funktions- oder Organverluste der Niere durch Schrumpfung und Fibrosierung des Nierenparenchyms aufgrund von Gefäßläsionen oder Gewebezertrümmerung. In weiterer Folge kann sich eine sekundäre renale Hypertonie entwickeln sowie rezidivierende Harnwegsinfekte bei Harnabflussstörungen und Urolithiasis.

Die Nachsorge umfasst in den ersten drei Monaten regelmäßige klinische Untersuchungen, regelmäßige Blutdruckmessungen und Urinuntersuchungen sowie im Individualfall die bildgebende Kontrolle. Besteht ein Zustand nach konservativ versorgten größeren Verletzungen oder rekonstruktiven Eingriffen, ist die Bestimmung der Nierenfunktion mittels Szintigrafie im Intervall empfehlenswert.

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Verletzungen des Harnleiters

Harnleiterverletzungen machen insgesamt ein bis 2,5 Prozent der Traumata im Urogenitaltrakt aus. Nur selten findet sich als Ursache ein externes Trauma, eine Mitbeteiligung des (meist unilateralen) Ureters wird bei penetrierenden Abdominalverletzungen mit 2,3 bis 17 Prozent angegeben. Oft können in diesen Fällen entsprechend der Verletzungsursache schwere abdominelle Begleitverletzungen von Dünndarm, Colon oder Iliakalgefäßen gefunden werden.

Stumpfe Traumata können durch Akzeleration des Rumpfes (oft mit einer Wirbelsäulenverletzung einhergehend) einen proximal lokalisierten Harnleiterabriss verursachen. Kinder sind aufgrund ihrer noch überstreckbaren Wirbelsäule besonders gefährdet.

Quetschungen und Überfahrungen, häufig mit schweren Beckenverletzungen vergesellschaftet, verursachen zumeist Verletzungen des distalen Harnleiters. Mit 75 Prozent der Fälle entstehen Harnleiterverletzungen am häufigsten iatrogen (urologisch, gynäkologisch, chirurgisch).

Ursächlich sind endoskopische Eingriffe wie Ureterorenoskopie oder offene bzw. laparoskopische Operationen im Abdomen und besonders im kleinen Becken (gynäkologisch und allgemeinchirurgisch). Insgesamt sind die unterschiedlichen Harnleiteranteile (oberer, mittlerer und unterer) gleich häufig betroffen (37 vs. 31 vs. 32 Prozent).

Diagnose

Bei Harnleiterverletzungen treten unspezifische Beschwerden wie kolikartige Flankenschmerzen, abdomineller Druckschmerz und lokale Resistenzen auf, dadurch können sie anfangs übersehen werden. Oft werden sie erst durch septische Komplikationen oder eine stumme Niere erkannt. Auch Hämaturie ist ein unsicheres Symptom, da sie in etwa 50 Prozent der Fälle fehlt. Eine systematische Diagnostik ist bei Polytrauma zum Ausschluss einer Harnleiterverletzung unbedingt notwendig. Sonografisch können Urinome und Hämatome initial schwer erkennbar sein.

Mit der IVP lassen sich weitere Informationen gewinnen wie etwa Extravasate, Obstruktionen, Dilatationen oder fehlende Ausscheidung. Ein unauffälliger Befund in der IVP bzw. im Ausscheidungsurogramm (AUG) schließt jedoch eine Harnleiterverletzung nicht aus (bis zu 50 Prozent falsch-negativ). Im vierphasischen CT lassen sich Harnleiterläsionen in der Spätphase beurteilen (ca. 15 bis 20min post injectionem).

Goldstandard in der bildgebenden Diagnosesicherung ist die retrograde Pyelografie, mit der sich die Harnleiterverletzung topologisch exakt zuordnen lässt. Sicherste Diagnosemethode stellt die direkte Exploration des Harnleiters dar. Die Klassifizierung der Schweregrade erfolgt mittels AAST-Einteilung (siehe Tab. 3).

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Therapie. Die initiale Versorgung von Harnleiterverletzungen erfolgt durch Urindrainage mittels perkutaner Harnableitung oder Ureterschiene je nach Allgemeinzustand des Patienten und Schweregrad der Harnleiterverletzung. Bei polytraumatisierten Patienten erfolgt nach Stabilisierung der Vitalfunktionen zumeist eine ultraschallgezielte Einlage einer perkutanen Nephrostomie. Auch ein kompletter Harnleiterabriss wird mit einer Nephrostomie versorgt.

Liegen nur partielle Läsionen des Harnleiters oder kleine Extravasate vor (Grad I bis III), sollten Patienten im stabilen Allgemeinzustand vorzugsweise mit einer Harnleiterschiene versorgt werden, da solche Läsionen in der Regel mithilfe der Schienung ausheilen. Bei ausgedehnten Lazerationen oder komplizierter Harnleiterdurchtrennung erfolgt im Bereich des distalen Harnleiteranteils in der Regel eine Neuimplantation in die Blase mit einem Psoas-Hitch-Manöver.

Eine Ausnahme stellt die primäre End-zu-End-Anastomosierung dar – vorwiegend im mittleren Harnleiterabschnitt – da diese mit dem Risiko einer sekundären Stenose behaftet ist. Notwendig sind primäre operative Rekonstruktionen des Ureters, da sie mit Komplikationen wie Nahtinsuffizienz, Nekrosen oder Stenosen einhergehen.

Ist eine primäre suffiziente Harnableitung gewährleistet, erfolgt die plastisch-rekonstruktive Versorgung als Elektiveingriff.

Komplikationen nach Therapie bei inital diagnostizierten Ureterverletzungen kommen in neun bis 15 Prozent vor. Am häufigsten sind Urinome, Abszesse, Fistelbildungen und Harnleiterstenosen zu finden. Eine verzögerte Diagnosestellung kann Sepsis und Organverlust nach sich ziehen.

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Harnblasenverletzungen

Blasenverletzungen machen etwa elf Prozent aller urogenitalen Verletzungen aus. Die häufigste Ursache (80 Prozent) sind Verkehrsunfälle, gefolgt von Stürzen, Arbeitsunfällen und abdominellen Schussverletzungen. In bis zu 90 Prozent der Fälle liegt eine gleichzeitige Beckenfraktur vor. Extraperitoneale Verletzungen der Blase finden sich etwas häufiger als intraperitoneale.

Direkte Einwirkung auf die gefüllte Blase führt zu einer Ruptur am Scheitel (Locus minoris resistentiae) nach intraperitoneal häufig als Anspießung durch ein Knochenfragment. In zehn bis 20 Prozent kommen kombinierte intra- und extraperitoneale Blasenverletzungen vor, die zumeist durch penetrierende Traumata entstehen. Eine kombinierte Harnröhren- und Blasenverletzung findet sich in 15 Prozent der Fälle. Die Blase stellt das am häufigsten betroffene „urologische Organ“ von iatrogen verursachten Verletzungen dar.

Die Einteilung der Schweregrade erfolgt nach der AASTKlassifikation (siehe Tab. 4).

Als führendes Symptom tritt in 80 Prozent der Fälle eine Makrohämaturie auf, wobei das Ausmaß der Blutung nicht mit dem Schweregrad der Verletzung korreliert. Weiters findeten sich abdomineller oder suprasymphysärer Druckschmerz sowie Miktionsstörungen bis hin zur Anurie. Urinextravasation und Hämatomausbildung können zu perinealer oder penoskrotaler Schwellung mit Ausläufern bis in die Oberschenkel führen.

Besteht der hochgradige Verdacht auf eine Blasenruptur, erfolgt als erster Schritt retrograde Urethrozystografie. Erst wenn eine Harnröhrenverletzung ausgeschlossen wurde, wird im Anschluss ein Zystogramm nach Füllung der Blase mit 300 bis 400ml Kontrastmittel in zwei Ebenen (a.p. und seitlich) durchgeführt. Um keine ventral und dorsal gelegenen Defekte zu übersehen, werden nach Blasenentleerung die Aufnahmen wiederholt. Mit einer Treffsicherheit von 85 bis 100 Prozent stellt die Zystografie den Standard bei Harnblasenverletzungen dar. Alternativ kann eine CT des Abdomens mit CT-Zystografie vorgenommen werden.

Therapie. Auf den Extraperitonealraum reduzierte kleinere Verletzungen der Blase sind mit suprapubischer oder transurethraler Harnableitung adäquat versorgt und heilen innerhalb von zehn bis 21 Tagen durch suffiziente Urindrainage ohne weiteren operativen Eingriff ab. Besteht eine ausgeprägte Ruptur bis zum Blasenhals, liegt eine vaginale oder rektale Beteiligung vor oder sind verletzende Knochenfragmente erkennbar, ist eine offene Revision erforderlich. Intraperitoneal gelegene Blasenläsionen bedürfen einer chirurgischen Exploration mit Übernähung der Blasenwand. Jede penetrierende Harnblasenverletzung ist operativ zu sanieren.

Komplikationen sind Folge von übersehenen Blasenrupturen wie Urinphlegmone, vesikovaginale oder -enterale Fisteln oder chronisch irritative Miktionsbeschwerden. Bei höhergradigen Verletzungen im Rahmen von Pfählungstraumata und Beckenzertrümmerung kann es zu einer Blasendenervation mit Blasenentleerungsstörung kommen.

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Verletzungen der Harnröhre

Verletzungen der männlichen Harnröhre können nach vorderen (penilen – subdiaphragmalen) und hinteren bulbären (supradiaphragmalen) Läsionen unterschieden werden. Instrumentelle endoskopische Eingriffe und unsachgemäßes Katheterisiern stellen die häufigsten Ursachen für isolierte Harnröhrenverletzungen dar.

Im Rahmen von Unfällen werden 70 Prozent der Urethraverletzungen durch Verkehrsunfälle und 25 Prozent durch Sturz aus großer Höhe verursacht. Harnröhrenverletzungen bei Frauen sind meistens durch Knochenfragmente bei Beckenfraktur bedingt, kommen insgesamt aber extrem selten vor. Aufgrund der nur rudimentär angelegten Prostata ist bei Kindern häufiger eine komplette Harnröhrenruptur sowie eine Mitbeteiligung von Blasenhals und Vagina zu finden.

Läsionen oberhalb des Diaphragma urogenitale werden meist durch Scherkräfte (Malgaigne-Fraktur) oder Zerreißung (Open-Book-Fraktur) bei Beckenringfrakturen verursacht. Traumata unterhalb des Beckenbodens entstehen durch Aufreit- oder Pfählungsverletzungen (AAST-Klassifikation siehe Tab. 5). Typischerweise finden sich bei bulbärer Verletzung Hämatome und/oder Urinome im subdiaphragmalen Perineum und Skrotum. Liegt die Läsion supradiaphragmal, ist eine Ausbreitung des Hämatoms/Urinoms ins kleine Becken zu beobachten. Blutaustritt am Meatus ist in mehr als 90 Prozent zu sehen. Weitere Leitsymptome sind Hämaturie, Dysurie und häufig Harnverhalt.

Diagnostik. Diese beinhaltet eine ausführliche Traumaanamnese, Inspektion und Palpation. „Klassisches“ Zeichen einer möglichen Harnröhrenverletzung ist Blut am Meatus urethrae. Im Ultraschall kann im Falle einer kompletten Durchtrennung die abgetrennte Blase oberhalb der Symphyse dargestellt und in der rektalen Untersuchung eine „hochstehende“ Prostata getastet werden. Vor einer Katheterisierung muss bei Verdacht auf Harnröhrenverletzungen unbedingt ein retrogrades Urethrozystogramm mit Beckenleeraufnahme durchgeführt werden (siehe Abb. 5).

Therapie. Die Versorgung von kompletten supradiaphragmalen Harnröhrenabrissen erfolgt ausnahmslos operativ. Der optimale Zeitpunkt wird kontrovers diskutiert, das Vorgehen richtet sich nach der individuellen Situation. Die primäre End-zu-End-Anastomose wird meist unter ungünstigen Bedingungen durchgeführt (Blutungen, Hämatome oder Frakturen im traumatisierten Operationsgebiet), dadurch ist die Gefahr zusätzlich intraoperativ gesetzter Traumata groß (Gefäß-, Nervenschädigungen).

Alternativ wird die verzögerte, sekundäre operative Sanierung mehrere Wochen posttraumatisch empfohlen. Bis dahin erfolgt die Harnableitung mittels suprapubischer Zystostomie.

Da es in mehr als 95 Prozent der Fälle bei suprapubischer Langzeitableitung zu Strikturen kommt, wird die Striktur operativ reseziert, der Harnröhrendefekt je nach Länge mittels End-zu-End-Anastomose (Defekt 2cm) gedeckt und die Harnröhrenkontinuität hergestellt.

Komplikationen können in Form von Harnröhrenstrikturen, erektiler Dysfunktion und Harninkontinenz als Folgeerscheinungen in bis zu zwei Drittel der Fälle vorkommen. Auch verzögerte plastisch-rekonstruktive Eingriffe weisen eine hohe Rezidivrate an Urethrastrikturen auf.

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Abb.5: Retrogrades Urethrogramm mit posteriorem Harnröhrenabriss nach Sturz

Verletzungen des männlichen Genitale

Genitalverletzungen machen etwa ein Drittel aller Traumata des Urogenitaltrakts aus. In 80 Prozent sind diese durch stumpfe Verletzungen verursacht und kommen vermehrt bei Risikosportarten wie Mountainbiking, Rugby, Motorrad fahren und Vollkontaktsportarten vor. Weiters sind Genitalverletzungen als Verstümmelungen bei autoerotischen und psychotischen Handlungen zu beobachten.

Penisverletzungen. Drei Formen von Penistraumata werden unterschieden: das „Degloving“, eine Ablederungsverletzung, wenn Präputialanteile mit Kleidungsstücken z.B. in drehende Maschinen geraten; die Penisfraktur mit Einriss der Schwellkörper durch Abknickung des erigierten Gliedes im Rahmen des Geschlechtsverkehrs und die Penisamputation (Durchtrennung der Harnröhre, Gefäße und Nervenbündel) im Rahmen eines Traumas oder Selbstabtrennung bei psychiatrischen Patienten.

Bei der Penisfraktur, bei der sich typischerweise ein knackendes Geräusch mit nachfolgendem Erektionsverlust und lokaler Hämatombildung findet, kommt es zu einer Ruptur des Corpus cavernosum mit meistens transversem Einriss. Eine konkomitante Läsion des Corpus spongiosum und der Urethra kommt in zehn bis 20 Prozent der Fälle vor. Klinisch zeigen sich ein ausgeprägtes Penis- und manchmal auch ein Skrotalhämatom. Ist das Corpus spongiosum und/oder die Urethra mit betroffen, findet sich Blut am Meatus. Weiters weisen die Patienten eine ausgeprägte lokale Schmerzsymptomatik auf. Die Penisfraktur ist eine typische Blickdiagnose.

Zusätzlich wird eine Kavernosografie und bei Verdacht auf Urethraverletzung eine retrograde Uretrografie durchgeführt. Die MRT kann Zusatzinformationen über den Verletzungsgrad und die genaue Defektlokalisation liefern. Bei radiologischem Nachweis einer Penisfraktur sollte der Tunicadefekt frühzeitig operativ saniert werden. Liegen gleichzeitig Harnröhrenverletzungen vor, sind diese in der Regel nur partiell und können mittels transurethraler oder suprapubischer Ableitung sicher therapiert werden, eine Übernähung ist selten erforderlich.

Ein amputierter Penis (siehe Abb. 6) kann unter Umständen – abhängig vom Zustand des amputierten Gliedes und des Penisstumpfes – mikrochirurgisch replantiert werden. Eine rasche Revaskularisierung stellt den ausschlaggebenden Faktor für ein gutes operatives Ergebnis dar.
Penetrierende Verletzungen des männlichen Genitale kommen nach Schussverletzungen, bei Pfählungsverletzungen nach Sturz oder bei Bissverletzungen vor. In den meisten Fällen handelt es sich um ein komplexes Traumageschehen, nach dessen Ausmaß sich die Diagnostik richtet. Im Regelfall werden eine Urinuntersuchung und eine Urethrografie mit oder ohne Zystoskopie durchgeführt. Zusätzlich erfolgt bei Bedarf eine CT oder MRT.

Unter antibiotischer Abschirmung erfolgt dann, wenn möglich, die operative Exploration mit Wunddébridement und primärer chirurgischer Versorgung der Läsion. Zwischenzeitlich erfolgt die Harnableitung mittels suprapubischer Katheteranlage.

Hodenverletzungen. Finden sich ausgeprägte Hodenverletzungen, sollte eine Teilresektion mit Rekonstruktion des Hodenrestes angestrebt werden, häufig ist eine Orchiektomie notwendig. Ausgedehnte Hautverletzungen können einen Sekundäreingriff mit Spalthautdeckung notwendig machen. Stumpfe Hodenverletzungen gehen in 50 Prozent der Fälle mit einer Hodenruptur einher. Außerdem kann eine Hodendislokation (nach außen, subkutan, inguinal oder abdominell) oder nur ein Skrotalhämatom auftreten.

Patienten mit Hodentrauma präsentieren sich mit lokalem Schmerz und Hämatom, meist auch mit Übelkeit und Erbrechen. Im Normalfall ist eine Duplex-Sonografie Goldstandard in der Diagnostik des Hodentraumas. Nur bei unklaren Befunden ist eine weiterführende Bildgebung mittels CT oder MRT notwendig. Bei Verdacht auf Hodenruptur ist jedenfalls eine Hodenfreilegung indiziert (siehe Abb. 7). Auch bei unklarem Befund oder bei Vorliegen einer größeren Hämatozele, bei der in 90 Prozent der Fälle ein Hodenerhalt möglich ist, ist die Hodenfreilegung indiziert.

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Fazit

Aufgrund der hohen Mitbeteiligungsrate urogenitaler Verletzungen bei Polytraumapatienten ist bei geringstem Verdacht auf ein urogenitales Trauma in jedem Fall eine bildgebende Diagnostik durchzuführen. Die Wahl der entsprechenden Bildgebung richtet sich nach der verletzten Region: So spielt bei Nierenläsionen die CT eine entscheidende Rolle, während bei Harnröhren- und Blasenverletzungen das retrograde Urethrogramm den ersten Schritt zur Diagnosesicherung darstellen.

Der Zeitpunkt einer chirurgischen Sanierung ist vor allem vom Allgemeinzustand des Patienten sowie der Lokalisation und dem Schweregrad der Verletzung abhängig. In vielen Fällen erfolgt die operative Sanierung als verzögerter Eingriff nach primärer suffizienter harnableitender Versorgung beispielsweise in Form einer perkutanen Nephrostomie oder mit suprapubischem Blasenkatheter.

Verletzungen des äußeren Genitale erfordern zumeist eine sofortige Wundversorgung, um möglichen, sich ausbreitenden Infektionen entgegenzuwirken. Eine (plastische) Rekonstruktion kann dann – falls bei Primäreingriff kein kosmetisch zufriedenstellendes Ergebnis erzielt wurde – im Rahmen eines Zweiteingriffs erfolgen.


Literatur bei den Autoren

Prim. Univ.-Prof. Dr. Shahrokh Shariat, Dr. Natalia Swietek

Universitätsklinik für Urologie, Wien


Lecture Board: Priv.-Doz. OA Dr. Mesut Remzi, Priv.-Doz. Dr. Michael Rauchenwald

Ärztlicher Fortbildungsanbieter: Österreichische Gesellschaft für Urologie und Andrologie


© MMA, Clinicum Urologie 2014