Beckenbodenprolaps: Eine schwache Sache

BeckenbodenprolapsDer Vorfall des Rektums bzw. der Vagina und/oder des Uterus ist eine mehrheitlich weibliche Erkrankung. Je nach Leidensdruck und Symptomatik ist eine operative Therapie erforderlich. Zwei Experten diskutierten diese Thematik im Rahmen der Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreichs in Linz.

 

Rektumprolaps

„Der Rektumprolaps ist eine belastende Erkrankung. Es gibt kaum epidemiologische Daten“, sagt Prim. Univ.-Prof. Dr. Friedrich Herbst, FRCS, Abteilung für Chirurgie, KH Barmherzige Brüder Wien. Vorwiegend tritt der Rektumprolaps bei älteren Frauen auf.

„Die Diagnose wird klinisch, radiologisch und endoskopisch gestellt. Die kurative Therapie erfolgt chirurgisch, wobei abdominelle und perineale Verfahren zum Einsatz kommen. Hinsichtlich der Rezidivraten gelten die abdominellen Verfahren als sicherer, die Datenlage ist jedoch unzureichend“, so Herbst weiter.

Beim kompletten Rektumprolaps ist die einzige kurative Therapie die operative Behandlung. Mehr als 100 verschiedene Methoden wurden beschrieben, eine universell akzeptierte Standardoperation gibt es nicht. Zwei Zugänge stehen dafür zur Auswahl: Über den abdominellen Zugang erfolgt meist die Fixation des Rektums auf das Sakrum (Rektopexie) mit/ohne Mesh und mit/ohne Sigmaresektion.

„Der perineale Zugang nach Delorme basiert auf der Mukosektomie und Plikatur, die Methode nach Altemeier auf einer Rektum-Sigmaresektion mit koloanaler Anastomose“, so Herbst. Die abdominelle Operation ist für den Patienten zwar belastender, aber die Rezidivrate ist niedriger (fünf vs. 20–40 Prozent).

„Bei älteren und kranken Patienten wird daher der schonendere perineale Zugang durchgeführt und die geringeren funktionellen Ergebnisse akzeptiert. Außerdem ermöglicht der Einsatz von laparoskopischen Eingriffen einen schonenderen abdominellen Eingriff“, sagt Herbst. „Aufgrund weniger Vergleichsstudien sind keine definitiven Schlussfolgerungen möglich.“

Der inkomplette Rektumprolaps beginnt ventral im oberen Rektumdrittel und reicht beim Pressen maximal bis in den Analkanal. Begleitsymptome sind Inkontinenz (40 Prozent), Defäkationsstörung (60 Prozent), manuelle Unterstützung (20 Prozent) sowie Schmerzen und Pruritus (40 Prozent). In der Defäkografie korreliert die rektale Entleerung nicht mit dem Ausmaß der Intussuszeption.

„Derzeit ist unklar, ob ein abdomineller oder transanaler Zugang besser ist“, informiert Herbst. Die häufigsten Methoden sind in den USA die Resektionsrektopexie und in Europa die laparoskopische ventrale Rektopexie sowie die STARROperation (Stapled Transanal Rectal Resection). Die Erfolgsrate liegt bei beiden Zugängen bei 80 Prozent, allerdings gibt es keine Langzeitdaten.

Herbst fasst zusammen: „Traditionell wurden eingeschränkt belastbare Patienten perineal operiert, durch die Laparoskopie werden aber mehr abdominelle Operationen möglich. Die laparoskopische ventrale Rektopexie vermeidet Nachteile der klassischen Operation, insbesondere die postoperative Defäkationsstörung. Für die inkompletten Prolapsformen kommen ebenfalls abdominelle (Retropexie) und perineale (STARR) Operationsverfahren in Betracht, wenn die konservative Therapie fehlschlägt.“

Vaginal- und Uterusprolaps

Die Prävalenz des Vaginal- bzw. Uterusprolaps liegt bei Frauen im Alter zwischen 20 und 59 Jahren insgesamt bei 31 Prozent“, informiert Dr. Franz Roithmeier, Abteilung für Gynäkologie, KH Barmherzige Schwestern Linz. Oft ist der Vaginalprolaps asymptomatisch. Risikofaktoren sind Alter, Parität, Beckenbodenkraft und das Geburtsgewicht, nicht jedoch das Gewicht der Frau bzw. Status post Hysterektomie (Samielsson et al., Am J Ob Gyn 1999).

Die Prävalenz für einen Prolaps (POP, pelvic organ prolaps) liegt bei Frauen zwischen 50 und 79 Jahren bei 41 Prozent, davon weisen 34 Prozent eine Zystozele auf, 19 Prozent eine Rektozele und 14 Prozent Uterusprolaps. Allerdings suchen nur zehn bis 20 Prozent der Frauen einen Experten auf (Summers et al., Am J Obstet Gynecol 2006).

„Die Diagnostik beruht auf der Beurteilung aller drei Kompartimente in Ruhe und beim Pressen. Es gilt, das Vorliegen einer Harn- oder Stuhlinkontinenz zu evaluieren sowie auch den Leidensdruck bzw. Wunsch der Patientin“, sagt Roithmeier. Klinisch präsentiert sich ein Prolaps mit Druck- bzw. Fremdkörpergefühl, Blasenproblemen (wie Entleerungsstörung, rezidivierenden Harnwegsinfekten, Urgency/Frequency-Symptomatik, Dysurie, Belastungsinkontinenz), Stuhlentleerungsstörung, Dyspareunie, Kreuz-/Unterbauch-/Leistenschmerzen, Ulzerationen, vaginalen Infektionen etc.

In der Deszensustherapie wird nach folgendem Stufenkonzept (modifiziert nach Fischer 1974) vorgegangen:

  • Präoperative konservative Therapie: Verhaltensmodifikation, Physiotherapie, Pessartherapie, medikamentöse Therapie (lokale Hormontherapie),
  • operative Therapie: Kolporraphie, Vaginaefixatio, Sakrokolpopexie, Mesh etc.,
  • postoperative konservative Therapie: Verhaltensmodifikation, Physiotherapie, medikamentöse Therapie.

„Beckenbodentraining ist evidenzbasiert un

d wird empfohlen, der mittelfristige Erfolg liegt zwischen 44 und 84 Prozent. Es treten keine Komplikationen auf, und weitere Therapien werden nicht erschwert“, unterstreicht Roithmeier. „Eine Indikation für die Operation ist gegeben, wenn die Patientin symptomatisch ist, die konservative Therapie ausgeschöpft ist, die Erfolgschancen das Risiko der Operation überwiegen und seitens der Patientin der Operationswunsch besteht.“

Welches operative Konzept sollte gewählt werden? „Der vaginale Zugang ist weniger belastend, die Morbidität geringer, die postoperativer Erholungsphase kürzer und der Eingriff ist kostengünstiger. Beim abdominalen Eingriff gelingt es effektiver, die ursprüngliche Anatomie wiederherzustellen, die Rezidiv- und die Dyspareunieraten sind geringer, allerdings ist die Operationsdauer länger“, so Roithmaier. Die Komplikationsrate ist bei beiden Eingriffen gleich (Mahler et al., Cochrane Database Syst Rev 2013).

Eine vaginale Korrektur ist dann indiziert, wenn eine Primärsituation vorliegt, ein kokomitanter Eingriff in einem anderen Kompartment geplant ist sowie aufgrund der kürzeren Operationsdauer und rascheren postoperativen Erholung und Mesh-assoziierte Komplikationen zu erwarten sind.
Klassische Konzepte der Vaginopexie bei Hysterektomie:

  • Einknüpfen der Parametrienstümpfe mit hoher Peritonealisierung (bei mäßig apikalem Defekt, keine wesentliche Änderung der Scheidenachse),
  • Kuldoplastik nach McCall (Ligamenta sacrouterina werden in der Medianen vereinigt und der Scheidenapex hochgezogen; Modifikationen nach Cruikshank & Kovac),
  • sakrospinale Fixation nach Amreich-Richter (komplikationsarme Methode, Inzidenz für Zystozelen liegt zwischen 20 und 30 Prozent, Erfolgsraten liegen bei 92 Prozent).

Der Einsatz von Netzen in der Beckenbodenchirurgie beruht darauf, dass eine autologe Rekonstruktion oft ohne dauerhaften Erfolg ist (Rezidive) bzw. teilweise gar kein autologes Material vorhanden ist (Spatium rectovaginale). Es gibt außerdem gute Erfahrungen in der Inkontinenzchirurgie.

Roithmeier: „Mit Mesh gelingt zwar die anatomische Rekonstruktion besser, aber in bis zu zehn Prozent der Fälle kommt es zur Mesh-Erosion. Bezüglich subjektivem Outcome, Lebensqualität, De-novo-Dyspareunie, Belastungsinkontinenz und der Rate an Re-Operationen finden sich keine Unterschiede.“

Mag. Nicole Martinek

„Beckenbodenprolaps“, Vorträge im Rahmen der 23. Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreichs (MKÖ), Linz, 19.10.13

© MMA, Clinicum Urologie 4/2013