Mit den Muskeln und Strukturen des Beckens werden im klinischen Alltag üblicherweise Spannungsverlust, reduzierte Haltefähigkeit und Abnahme der Stabilität assoziiert. Dabei können gar nicht selten zu hohe Spannungen zu heftigen Dysfunktionen und Beschwerden führen. Ein Überblick zu Genese und Auswirkung von Verspannungen sowie den therapeutischen Optionen.
Über den bogenförmigen Aufbau des Beckens wird das Gewicht des Oberkörpers auf die Beine verteilt. Je nach Erfordernis ist es Punktum mobile oder Punktum fixum, ermöglicht Rumpfbewegungen sowie Bewegungen in den Hüftgelenken und bietet dazu über 40 Muskelpaaren Ansatz.
Die Muskeln des Beckenbodens müssen synchron dynamisch und statisch aktiv sein, damit die Beckenorgane (für Miktion, Kontinenz und Sexualfunktionen) geöffnet und geschlossen werden können, ohne dabei bedrohlich ihre Lage zu verändern. Diese Vielfalt an Aufgaben erfordert einen optimal ausbalancierten Zustand, um Funktionssicherheit zu gewährleisten.
Welcher Dauerbeanspruchung die Gewebe des Beckenbodens ausgesetzt sind, wird bei Betrachtung der morphologischen Veränderungen, die z.B. die Muskulatur durchmacht, deutlich.
Während im embryonalen Musculus (M.) levator ani keinerlei glattmuskuläre Zellen nachweisbar sind (Shafik 2003), fanden Jundt et al. (2005) bei älteren Frauen bis zu 54 Prozent davon. Der Organismus scheint hier einen Anpassungsprozess zu durchlaufen, bei dem den Erfordernissen einer muskulären Dauerspannung Rechnung getragen wird.
Die glatte, unwillkürliche Muskulatur ist zur pausenlosen Leistung fähig – quergestreifte Muskelfasern (auch die tonischen Slow-twitch- Fasern) brauchen immer wieder Erholungsphasen, da sie sonst zu Verspannung neigen. Muskuläre Verspannungen gehen mit Elastizitätsverlust und Atrophie einher und können Schmerzen verursachen.
Die Ursachen für eine verspannte Beckenbodenmuskulatur können nur vermutet werden. Ein Grund auf physischer Ebene kann in geschwächten faszial-ligamentären Strukturen liegen, die eine insuffiziente Kraftübertragung ermöglichen, was vom Körper mittels verstärkter Anspannung kompensiert wird.
Aber auch Verspannungszustände, die nicht vom Organismus reflektorisch selbst erzeugt werden, sind möglich: So kann ein falsch verstandenes Trainingskonzept, bei dem die Frau den ganzen Tag mittels „versuchter Dauerkontraktion“ (Einziehen bzw. Einschnüren) Inkontinenz behandeln oder vorbeugen will, zu massiven Verhärtungen und Triggerpunkten führen. Jedes Muskelgewebe benötigt neben dem Bildungsreiz der Kontraktion auch den Reiz der Dehnung, um einen ausbalancierten Zustand und volle Funktionsfähigkeit zu wahren.
Ein weiterer Grund für Spannungsveränderungen im Becken können Dysbalancen von muskulo-ligamentären Strukturen im Rumpf- und Beinbereich sein (Bort 2010). Die Beckenbodenmuskulatur im Zentrum zwischen Stabilität und Mobilität befindet sich in starker Abhängigkeit von den Anforderungen des Bauches wie der Hüften. So wurde z.B. bei Leistungssportlerinnen beobachtet, dass es trotz gut ausgeprägtem M. levator ani zu vermehrten Inkontinenzepisoden kommt (Eliasson 2002, Thyssen 2002), insbesondere bei Explosivkraftanforderungen.
Tatsächlich sehen wir immer wieder Frauen mit Belastungsinkontinenz, deren Beckenbodenmuskulatur einen Hypertonus aufweist. Ein verspannter, myogelotischer M. levator ani reagiert verlangsamt auf Schnellkraftanforderungen wie beispielsweise beim Husten (Fitzgerald 2003). Auch ein Zusammenhang zwischen vorhandenen Muskelverhärtungen bzw. Triggerpunkten und Drangsymptomen entsprechend einer überaktiven Blase wird berichtet (Weiss 2001).
Hypertone Spannungszustände in der Beckenbodenmuskulatur können lange Zeit unbemerkt bleiben oder werden lediglich als „Block im Becken- bzw. Hüftbereich“ wahrgenommen oder als „Barriere“ bzw. „Trennung“ zwischen Beinen und Oberkörper – jedoch ohne klinische Zeichen – beschrieben. Hypertone Spannungszustände können jedoch die Grundlage für die Entstehung ernsthafter Krankheitsbilder darstellen. Ein hoher Tonus im kleinen Becken kann z.B. bei der Frau zur Gewohnheit führen, dass Blase oder Darm mit hohem Bauchdruck entleert wird, was das Risiko für Organsenkungen stark erhöht.
Weitere Folgen von hypertonen Spannungszuständen reichen von Dyspareunie bis hin zum chronischen Beckenschmerzsyndrom (CBSS). Die Ursache der Verspannung kann in den oben beschriebenen Mechanismen liegen, ist aber auch auf psychische Faktoren zurückzuführen wie etwa Angstzustände, (sexuelle) Traumata, Dysstress (Selye 1957) etc. Diagnostisch stellt das CBSS nach wie vor eine hohe Herausforderung dar, denn nicht immer sind Genese und Verlauf systematisch erfasst und verstanden (Chaitow 2012).
Wie bei jeder Therapiewahl sollte die Behandlung der Ursachenangestrebt werden – ein schwieriges Unterfangen angesichts der nicht immer eindeutigen Entstehung von Verhärtungen im Beckenbodenbereich. Anfänglich ist abzuklären, ob es sich um „selbst provozierte Überspannungen“ (falsches Beckenboden-Training), oder ob es an der Umgebung der Beckenbodenmuskeln liegt (Hypermobilität des Beckengürtels, Organverlagerung), oder eine strukturelle (ligamentäre Laxität), oder funktionelle Überforderung (z.B. Dysbalance bei Sportlerinnen) handelt. Organische Schäden wie etwa Blasenerkrankungen und psychische Ursachen sind davon abzugrenzen.
Insbesondere beim CBSS ist eine Orientierung auf Monokausalität wenig zielführend, da sich bei diesen chronischen Zuständen multidisziplinäre Ansätze als am erfolgversprechendsten zeigen (Moseley 2007).
Fehlverhalten beim Toilettengang, Trainingsmethoden oder Fehlverhalten bei den Bewegungen des täglichen Lebens sind als erstes durch Aufklärung und Korrektur zu beseitigen. Für das Beckenbodentraining ist eine fachlich fundierte, physiotherapeutische Anleitung erforderlich, wobei die korrekte Anspannungstechnik, die Fähigkeit zur Relaxation und eine zielführende Dosierung vermittelt werden.
Die Behandlung bestehender organischer Veränderungen, die zu reaktiven Spannungserhöhungen führen können wie z.B. Narben oder Muskelverkürzungen, können ebenfalls „Ursachenbehandlungen“ sein und die Spirale aus „Schmerz und Verspannung“ durchbrechen.
Vonseiten der Physiotherapie steht die Reduzierung der Verspannung respektive Beseitigung von Verhärtungen, Maximalpunkten und Adhäsionen im Vordergrund. Die Verspannungstendenz kann und muss der Betroffene auch durch eigenes Training angehen. Sinnvoll sind einerseits Atemübungen, Atemlenkung und Unterweisung in speziellen Atemtechniken, bei denen der Beckenboden mit einbezogen wird (siehe Abb.).
Abb 1.: Atemlenkung in den Beckenbodenbereich
Abb 2.: Externe Mobilisation des Musculus levator ani
Andererseits kann der Patient mittels Entspannungstechniken der Entstehung der hypertonen Situation entgegenwirken.
Aus der Vielfalt der existierenden Techniken sind jene zu wählen, die dem Betroffenen am meisten entgegenkommen. Obwohl vielfach die Jacobsen-Methode (Entspannung nach bewusster Anspannung der Region) empfohlen wird, haben wir keine guten Erfahrungen damit in der Behandlung von Beckenschmerzsyndromen gemacht; wiederholt haben Patienten mit verstärktem Schmerzgeschehen auf die Anspannung negativ reagiert. Wir bevorzugen eher Adaptionen aus dem Autogenen Training, Imaginationen kombiniert mit Atemlenkung.
Obwohl seit über 30 Jahren Studien zur Effizienz der Biofeedback-Technik betrieben werden, sind die Ergebnisse aufgrund ihrer Vielfältigkeit (bzgl. der Geräte, Signalgebung, Behandlungsprotokolle etc.) nach wie vor nicht als evidenzbasiert zusammenzufassen (Glazer 2012). Dennoch zeigen die diversen Studienergebnisse sehr vielversprechende Ansätze.
Gute Möglichkeiten eröffnen sich bei den seit einigen Jahren zunehmend bekannter werdenden manuellen extraund intrapelvikalen Techniken, um über die Spannungssenkung hinaus auch bestehende Myogelosen und Adhäsionen zu beseitigen. Bereits 1937 beschrieb Thiele die Beziehung des tonischen Spasmus des M. levator ani, M. piriformis und M. coccygeus zum Schmerz. Vor 50 Jahren dokumentierte er den Erfolg der Massage des M. levator ani beim Beckenschmerz („Thiele-Massage“).
Die Studienlage ist zwar noch schwach und es wird – wie bei allen manuellen Techniken – wohl auch lange dauern, bis eine entsprechende Evidenz vorliegt. Die bis dato präsentierten Zahlen sind aber vielversprechend. Auch wir arbeiten seit 1,5 Jahren im Rahmen unseres Therapiekonzeptes BM Balance mit Patienten mit CBSS unter Anwendung der intravaginalen respektive -rektalen Massagetechniken zur Auflösung von Triggerpunkten und Adhäsionen insbesondere von M. puborectalis und M. pubococcygeus mit erstaunlichen Ergebnissen entlang der VAS-Schmerzskala.
Das Wissen über Entstehung und Auswirkungen von Verspannungen und Schmerzen in der Beckenregion ist zwar tausendfach zusammengetragen, ergibt aber immer noch kein wirklich klares Muster. Sicher ist die Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Behandlung von Patienten mit Verspannungen und Schmerzen im Becken. Der Therapieerfolg erfordert Synergien vom Urologen, Gynäkologen, Radiologen, Neurologen, Internisten, Physio- und Psychotherapeuten, Masseur und Fitnesstrainer.
Ingeborg Bort-Martin, Markus Martin
Physiotherapeuten, BM Balance – Medizinische Fortbildungen für Therapeuten und Mediziner, Wien
© MMA, Clinicum Urologie 4/2013